2013/02/11

Bodo #033: Das Update des Wortes zum verlängerten Rücken



Liebes Bodo.

Ich hab da mal geträumt gestern Nacht.

Doch, es wird noch ein sinnvoller Eintrag, aber erst muß ich vom Traum erzählen ...
ich sollte Abitur machen und wurde von meiner Familie gezwungen, dafür zu lernen. Aber ich hab lieber ferngesehen und die Prüfung verschlafen und bin um 15 Uhr aufgewacht ... aus irgendeinem Grund lag mein Vater mit im Bett ... und habe dann behauptet, die Prüfung gemacht zu haben, aber niemand hat mir geglaubt und dann bin ich geflohen mit einem Einkaufswagen, in dem ich alle Beweise meiner Lügerei vor mir herfuhr und mein Auto suchte, aber das war geklaut worden und wurde auf der Karte nicht angezeigt.
...
Also, klar, Kartenfunktion. Kein ordentlicher Traum ohne einblendbare Kartenfunktion. WIE SOLL MAN SICH SONST ORIENTIEREN IN TRAUMWELTEN?!?
...
Jedenfalls wurde es irgendwann dunkel und ich fand mein Auto zufällig auf dem Parkplatz neben der Spielhölle. Es war kaputt und roch sonderbar.


In meinen Träumen werde ich von meiner Familie gejagt. Oder ich versuche mit allen mir zur Verfügung stehenden Mitteln, dem Unterricht fernzubleiben. Alle Träume, an die ich mich erinnern kann, handeln davon.
Daraus folgt: ich habe ein zutiefst gespaltenes Verhältnis in mir drinne am unverarbeitet vor sich hin brodeln, und zwar einerseits zur Familie, andererseits zur Schulzeit.

Das eine ist logisch, das andere psycho. Warum psycho?

Nun ...

wegen freier Meinungsäußerung.

Was mir alles an Gemeinheiten, an Grausamkeiten, an mentaler und körperlicher Extremverstressung anheim fallen tat, schpa-rängte den Blogumfang, meine Tipplust und den Schmerzmittelvorrat. Und doch ... wars eigentlich ne ganz normale Jugend.
Mädels hamms nich einfach, müssen sich viel anhörn, viel aushalten.
Aber wir wolln nich so tun, als könnten die Biester nich auch ordentlich austeilen.
Vonwegen "rhetorischer Machtausübung" und so.

Ein Beispiel aus meiner sexuellen Reifezeit, das mich persönlich nicht betraf, aus irgendeinem Grund aber seither immer wieder in mir hochsteigt:

ich steh da in diesem Kabuff vonner Schülerzeitung rum. Neben mir Pockenfresse von der Redaktion, vor uns so'n blondiertes Grinsemuttchen mit Frauenpowerdekolleté und institutweit akzeptierter Pferdestehllizenz. Die Stimmung ist gut, alle haben Spaß an sich und der Welt, man fühlt sich besonders, hip(p) und coooool und sowas alles.
Dann steht die Schlampe auf einmal auf, guckt Pockenfresse in Selbige und sagt:

"Wow. Du bist ganz schön häßlich."

Das wars. Das war die ganze Geschichte. Pockenfresse lächelt, sichtlich überrascht und angeschlagen. Muttchen tut so, als wär nix gewesen, schenkt sich Wasser nach und plappert munter weiter.

"Wow. Du bist ganz schön häßlich."
Freie Meinungsäußerung. Zutreffend obendrein.
Keine überzogene "HEyALdAIschFIGgDEineMuddAH"-Gängelei, keinerlei Aggression oder Überheblichkeit lag in ihrer Stimme, in der Mimik, noch nicht mal irgendein Anzeichen des "Necken-Wollens". Einfach nur diese Worte, quasi im Vorbeigehn.

Is das nich dat Schlimmste, was einem passieren kann? Ich war nicht angesprochen, nicht involviert, weder aktiv noch passiv, und trotzdem hab ichs nie vergessen. Es traf wie ein Axthieb. Keine Ahnung, was Pockenfresse heute so treibt, wir haben damals nie darüber geredet, aber ich könnte mir gut vorstellen, dasser davon gelegentlich träumt. Und daß diese Wunde, ihm ohne Not oder auch nur Antipathie zugefügt von einem Mädel, das zu den liebreizesten, nettesten, fürsorglichsten und, nicht zuletzt aufgrund ihrer giftigen Figur, begehrtesten der ganzen Schule zählte, weswegen sie auch Vertrauensschülerin und Klassensprecherin war und alles ... also eben keine dieser Mädchen-Gang-Schlampen oder Männerhasseremanzen oder Streberschrittwüsten ...
...
... diese Wunde ist niemals richtig verheilt. Davon bin ich überzeugt.
Sie hat es längst vergessen. Wahrscheinlich überhaupt nicht erst bemerkt.
Warum auch? War ja nur eine ehrliche Meinung. Das darf man jederzeit und überall sagen, die ehrliche Meinung.
Oder?

Nun, wenn nicht ... was wäre die Alternative?

Menschen verletzen Menschen. Jeden Tag. Überall. Weltweit. Soviel steht fest.
Ich behaupte nun ... die meisten dieser Verletzungen und gleichzeitig auch die schwersten, nachhaltigsten sind nicht physischer Natur.
Solchen Verletzungen vorbeugen zu wollen, ist gut. Ist moralisch wertvoll.
Nur leider völlig unmöglich.
Solche Verletzungen lassen sich bestenfalls lindern, durch ein dickes Schutzfell etwa oder gute Arznei, aber niemals in Gänze verhindern.

Freie Meinungsäußerung ist brutal. Eine psychoaktive Massenvernichtungswaffe. Die Neutronenbombe der Zwischenmenschlichkeit ... vernichtet das Innere, läßt die Außenhülle intakt.
Trotzdem wird die freie Meinungsäußerung als hohes Gut empfunden, das höchste vielleicht, eine der wichtigsten Errungenschaften unserer Gesellschaft. Oder so. Politikerdeutsch halt.
Überall dort, wo sie nicht besteht, herrschen Leid, Unterdrückung, Ausbeutung und der eindeutig physische Anteil schwerer Verletzungen vor.

Tja, und nun?
Wie lautet die Moral? Die Schlußfolgerung aus diesen Gedanken?

Sexismus und Diskriminierung in Worten sind besser als die Taten, die diesen Worten eventuell folgen könnten?
Blöde Moral. Hieße ja, man müßte sich mit Schwulenschelte einfach abfinden, mit Naziparteien und mit angetrunkenen Brüderles, die einem nachts inner Bar auffe Titten glotzen und dann, höchstwahrscheinlich wahrheitsgemäß, eine erfindungszweckdienliche Dirndelausfüllung für realistisch erklären.
Einfach laufen lassen? Ist das eine brauchbare Denkweise?

Woher zum Teufel soll ich das wissen? Ich bin Mitte 30 und hab unterbewußt nich ma die Sekundarstufe verarbeitet. Hab andere Sorgen.

Eines steht für mich jedoch felsenfest ... Frauen sind KEINE grundsätzlichen Opfer von rhetorischer Machtausübung.
Ganz im Gegenteil.


Ciao,
Samuel

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