2012/05/23

Bodo #022: Kunstgriff ins Aborteske




Liebes Bodo,

was will er eigentlich, der Künstler? Willer sich verwirklichen, sich mitteilen? Oder willer Geld machen?
Sicherlich beides, im Idealfall. Ist dieser Idealfall jedoch einklagbar? Prominenz und Reichtum für alle? Muß jeder krumme Pinselstrich, jeder schiefe Ton, jede unglücklich gewählte Formulierung einen Wert haben, der Profit rechtfertigt? Musser sich da nicht vielleicht doch irgendwann entscheiden zwischen Ausdruck der Persönlichkeit und Ausdruck des Kontoauszuges, der Künstler?


Arbeit, sicher, sicher. Kunst macht Arbeit. Und Arbeit soll vergolten werden.
Arbeit macht auch Arbeit. Als Krankenschwester etwa oder als freischaffende Hebamme ... rund um die Uhr macht deren Arbeit Arbeit, auch am Wochenende, zu einem Stundenlohn, für den der Künstler heutzutage kaum mehr seine Kreativitätsreserven angreift. Lohnt sich ja nicht, für die paar Kröten.
Kunst is schließlich wesentlich wertvoller als Fruchtwasser. Fruchtwasser aufwischen kann jeder, Fruchtwasser zu interpretieren zeugt bereits von einer ganz anderen Ebene von intellektueller Qualität und Nachhaltigkeit, Fruchtwasser aber zu implementieren, das ist die Krönung, das ist Kunst, nur Berufene können diesen Level des Bewußtseins erreichen, wobei fairerweise angemerkt werden muß, daß die reinste Form von Kunst wohl eher im Bereich des bewußten Nichtseins zu ergürnden liegt, nicht etwa mit Bewußtlosigkeit zu verwechseln, die wiederum ohne großes Problem allgemein zugänglich gemacht werden kann.

Der Künstler von heute empfindet sich eben nicht nur als Arbeiter, er ist auch Profi.
Spezialist auf seinem Gebiet. Er hat Ahnung, weiß, wo der Hase langläuft, sogar im Dunkeln unter Alliiertenbeschuß. Deswegen hat seine Arbeit auch Wert ... nicht, weil sie Kunst ist per se ... nein, sie ist auf fundierter Basis errichtet, ihre Wurzeln felsenfest im Weidegrunde hochwertiger Professionalität verankert. Schließlich entscheidet eben dieser Weidegrund über Wert von Kunst, erkennt die faulen Äpfel im Garten am Geruch ... unabhängig vom Geschmack.

Apfel, einfach wuchern lassen? Ohne Studium des Fruchtwachstums, ohne profunde Erfahrung auf dem Gebiet der Gehäusereproduktion ... einfach so?
Nicht mit dem Künstler von Welt! Der ist nämlich Profi! Es werden nur augenscheinlich einwandfreie Äpfel geliefert, Hochglanzgarantie, zu 100% schädlingsentsagt.

Und um dieses Niveau seiner Arbeit zu halten, braucht der Künstler Geld. Müßte er sich das nebenher mit "klassischen" Ausbildungsberufen beschaffen, würde seine Kunst darunter leiden, wenn nicht gar aus Zeitmangel komplett verdorren und eingehn. Das darf nicht geschehen!

Persönlicher Expressionismus scheint nurmehr durch mitunter überaus unpersönlichen Kapitalismus erhaltbar.
Sicherlich auch eine Frage der Erwartungshaltung. Früher war merklich mehr Kohle zu scheffeln mit 2,5 Akkorden in Dauerschleife oder 352 Seiten Krimiquatsch für nervenschwache Hausfraun.
Es gab keinen Weg, die Äpfel zu kosten, ohne sie zu kaufen. Das ist heute anders.



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Dieses ganze affige Geschwafel von Äpfeln macht hungrig.
Is mir im Prinzip ohnehin egal, ob Künstler verhungern. Für wen soll ich denn noch alles Verständnis aufbringen? Randgruppen, Negerkinder am Kongo, Kranke, Alte, Doofe, Frauen ... alle hammses nicht leicht. Jedesmal, wenn der Hermes-Paketbote kommt, muß ich gegen den Drang ankämpfen, ihm einen kleinen Freßkorb mitzugeben, weil ich natürlich weiß, wie wenig er verdient, wie er für eine Stelle, von der er kaum leben kann, auch noch massig Druck von oben kricht, ständig unbezahlte Überstunden macht usw.
Meiner Schleckerverkäuferin konnte ich vor ähnlich gelagertem schlechtem Gewissen lange Zeit kaum in die Augen sehn ... ok, dieses Problem besteht nicht mehr, seit der Schließung der Filiale.
Trotzdem ... wir hamm alle unser Päckl zu tragen, der Ton wird rauher, die Luft dünner im ach so herrlichen Aufschwungwunderland.

Und jetzt kommen die Künstler anGEMAckelt und meinen, Mitleid erzeugen zu können für ihren armen, ausgebeuteten Berufsstand.
Der Unterschied ist ... ohne Filiale kann die Schleckerfrau nicht mehr verkaufen, auch nicht für umme oder aus Spaß oder religiöser Überzeugung ...
der Künstler kann auch ohne Vergütung künsteln. Wird er vermutlich, wenn ihm seine Kunst selbst irgendetwas wert ist. Außer Geld.



Bodo. Liebes. Hab dich vermißt. Komm jetzt wieder öfter.

Herzlichst,
dein Sammy





P.S.:
Das eine "M" muß auf den Kopf gestellt werden. Sonst isses gar kein richtiges Wort. Such die Stelle selber, ich hab Feierabend.

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